Referendum in Frankreich 1972 zur Erweiterung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft

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Lage Frankreichs in der EWG
Übrige EWG-Mitgliedsstaaten
Beitrittskandidaten im Rahmen der EWG-Norderweiterung

Am 23. April 1972 fand ein Referendum in Frankreich 1972 zur Erweiterung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft statt. Die Wähler waren aufgefordert, ihre Meinung zum geplanten Beitritt des Vereinigten Königreichs, Irlands, Dänemarks und Norwegens zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (der sogenannten Norderweiterung) zu äußern. 68,3 Prozent der Abstimmenden stimmten der EWG-Erweiterung zu. Die Wahlbeteiligung betrug 60,2 Prozent.

Präsident Georges Pompidou (1969)

Seit der formellen Gründung der EWG im Jahr 1957 erwies sich diese als ein wirtschaftspolitisches Erfolgsmodell und zugleich als ein Stabilitätsanker in Europa. Andere Staaten streben daraufhin ebenfalls den Beitritt zur EWG an. Zwei Beitrittsgesuche des Vereinigten Königreichs in den Jahren 1961 und 1967 wurden durch den französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle mit einem Veto blockiert. Formal wurde dies mit Inkompatibilitäten in der Wirtschaftspolitik begründet.[1] Der Hauptgrund lag jedoch in dem Umstand, dass die EWG-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs der Konzeption de Gaulles eines de facto französisch geführten „Kerneuropas“ (eines Europe européenne im Gegensatz zu einem anglo-amerikanisch dominierten Europe atlantique) widersprach.[2][3][4] Nach dem Rücktritt de Gaulles 1969 wurde Georges Pompidou sein Nachfolger. Pompidou stand dem EWG-Beitritt des Vereinigten Königreichs nicht mehr grundsätzlich ablehnend gegenüber. Die Beitrittsverhandlungen der EWG mit dem Vereinigten Königreich, Dänemark, Norwegen und Irland wurden wieder aufgenommen. Auf einer Pressekonferenz am 16. März 1972 kündigte Präsident Pompidou die Abhaltung eines Referendums, bei dem die französischen Wähler entscheiden sollten, ob sie der EWG-Erweiterung zustimmten, an.[5]

Kampagne vor der Abstimmung

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Wahlempfehlungen der Parteien
Partei Stimm-
empfehlung
Parti communiste Nein
Parti socialiste Enthaltung
Parti radical Ja
Centre démocrate Ja
Union des Démocrates pour la République Ja

Von den großen Parteien empfahlen von den Oppositionsparteien die Kommunistische Partei Frankreichs unter Georges Marchais ein „Nein“, die Sozialisten unter François Mitterrand eine Wahlenthaltung, die Zentristen unter Jean Lecanuet und die linksliberale Parti radical unter Jean-Jacques Servan-Schreiber ein „Ja“. Die regierenden Gaullisten (Union des Démocrates pour la République und unabhängige Republikaner) empfahlen ein „Ja“-Votum.[6][7] Meinungsumfragen vor dem Referendum ermittelten, dass etwa zwei Drittel der Befragten, das Referendum als eine Entscheidung über eine wichtige Frage ansahen, dass aber eine knappe Mehrheit das Referendum als eine vor allem innenpolitische Angelegenheit betrachtete, bei der es Präsident Pompidou um die Stärkung seiner politischen Position ging. Die Gegner der EWG-Erweiterung argumentierten vor allem, dass eine Erweiterung der EWG vorrangig den Interessen der großen Wirtschaftsunternehmen diene und letztlich zu einer Verschlechterung der Lebensverhältnisse der einfachen Bevölkerung führen würde. Außerdem gerate die EWG durch die Aufnahme des Vereinigten Königreichs mit seinem besonderen Verhältnis zu den Vereinigten Staaten in zunehmende Abhängigkeit zu den USA. Die Umfragen zeigten jedoch, dass selbst Wähler der Kommunistischen Partei diesen Analysen nicht mehrheitlich zustimmten. 67 % der Befragten waren zudem der Ansicht, dass der Gemeinsame Markt grundsätzlich etwas Gutes für Frankreich sei, während nur 8 % der gegenteiligen Ansicht waren.[6]

Im zeitlichen Verlauf zeigte sich in den Meinungsumfragen, dass das Lager der „Nein“-Befürworter kontinuierlich hinzugewann, je näher der Abstimmungstermin rückte. Hatten die „Nein“-Befürworter Mitte März 1972 noch bei etwa 10 % gelegen, waren es einige Tage vor dem Termin schon annähernd 30 %.[6]

Die beim Referendum gestellte Frage, die mit Oui/Non (Ja/Nein) zu beantworten war, lautete:

« Approuvez-vous, dans les perspectives nouvelles qui s'ouvrent à l'Europe, le projet de loi soumis au peuple français par le président de la République, et autorisant la ratification du traité relatif à l'adhésion de la Grande-Bretagne, du Danemark, de l'Irlande et de la Norvège aux Communautés européennes ? »

„Stimmen Sie vor dem Hintergrund der neuen Perspektiven, die sich für Europa eröffnen, dem Gesetzesentwurf, den der Präsident der Republik dem französischen Volk vorgelegt hat, und der den Beitritt Großbritanniens, Dänemarks, Irlands und Norwegens zu den Europäischen Gemeinschaften vorsieht, zu?“

Frage des Referendums vom 23. April 1972: Conseil constitutionnel[8]

In einer Umfrage am 10. April 1972 gaben mehr als 50 % der Befragten an, dass sie die gestellte Frage entweder nicht klar („La question ne paraît pas claire“) oder sogar unverständlich („Ne connaît pas le texte“) fanden.[6]

Eine deutliche Mehrheit der Abstimmenden stimmte der geplanten EU-Erweiterung zu. Von 17.964.607 Wählern (Wahlbeteiligung 60,2 %) stimmten 10.847.554 mit „Ja“ (68,3 %) und 5.030.934 (31,7 %) mit „Nein“, 2.086.119 (7,0 %) Stimmen waren ungültig oder leere Stimmzettel. Das einzige der 96 Départements im französischen Mutterland, in dem sich eine knappe Mehrheit von Nein-Stimmen (50,6 %) ergab, war das Pariser Umland-Département Seine-Saint-Denis. Das Département mit dem höchsten Anteil an Ja-Stimmen (84,6 %) war Bas-Rhin (Niederrhein, d. h. das Unterelsass). Auch die Wahlberechtigten in den damaligen französischen Überseebesitzungen (Komoren, Réunion, Französisch-Guyana, dem Französischen Afar- und Issa-Territorium, Wallis und Futuna, Französisch-Polynesien, Neukaledonien, Saint-Pierre und Miquelon, Martinique, Guadeloupe) stimmten mit großer Mehrheit mit „Ja“.[9]

Mehrheiten nach Départements und überseeischen Besitzungen
Wahlbeteiligung
Ergebnisse nach Départements und in den französischen Überseebesitzungen[9]
Département Wahl-
berechtigte
Wahl-
beteiligung
Prozent
Ja[Anm. 1]
Prozent
Nein[Anm. 1]
Prozent
Ungültige[Anm. 1]
Ain 207.202 52,2 74,2 25,8 6,1
Aisne 298.200 67,6 59,5 40,5 7,4
Allier 240.913 60,4 57,7 42,3 7,4
Hautes-Alpes 60.891 58,6 67,3 32,7 7,9
Alpes-de-Haute-Provence 67.662 61,1 63,4 36,6 10,2
Alpes-Maritimes 439.909 58,2 66,5 33,5 6,6
Ardèche 168.278 60,5 70,3 29,7 7,6
Ardennes 165.269 60,9 66,4 33,6 6,8
Ariège 95.522 53,0 62,8 37,2 7,8
Aube 157.409 62,4 67,2 32,8 7,4
Aude 176.464 52,4 59,3 40,7 8,9
Aveyron 188.502 66,2 75,5 24,5 10,9
Bouches-du-Rhône 788.589 49,9 59,2 40,8 5,7
Calvados 304.340 62,0 72,2 27,8 6,6
Cantal 111.346 61,5 76,4 23,6 5,6
Charente 205.831 61,1 65,5 34,5 7,9
Charente-Maritime 301.449 56,1 69,4 30,6 6,9
Cher 187.242 62,3 61,8 38,2 6,9
Corrèze 163.220 67,2 59,0 41,0 8,2
Korsika 184.234 42,7 79,2 20,8 1,8
Côte-d’Or 241.260 55,2 72,1 27,9 5,0
Côtes-du-Nord 335.601 65,0 65,2 34,8 6,5
Creuse 109.403 55,6 59,3 40,7 6,8
Dordogne 255.729 67,7 61,1 38,9 9,2
Doubs 233.975 59,7 74,5 25,5 7,4
Drôme 206.744 56,5 68,7 31,3 8,5
Essonne 395.517 61,6 62,3 37,7 7,3
Eure 229.589 64,3 66,2 33,8 7,4
Eure-et-Loir 185.525 66,1 69,0 31,0 8,0
Finistère 505.931 60,0 75,8 24,2 5,1
Gard 293.645 56,1 57,2 42,8 7,0
Haute-Garonne 406.113 57,4 67,9 32,1 8,7
Gers 115.662 57,8 65,4 34,6 9,6
Gironde 598.433 57,0 70,0 30,0 7,1
Hauts-de-Seine 770.901 59,2 65,5 34,5 6,6
Hérault 348.690 51,2 59,6 40,4 7,1
Ille-et-Vilaine 401.093 62,1 78,6 21,4 6,3
Indre 162.288 64,3 60,8 39,2 8,0
Indre-et-Loire 258.566 60,1 68,2 31,8 7,8
Isère 429.833 52,3 65,8 34,2 6,8
Jura 145.219 60,3 70,7 29,3 8,0
Landes 184.917 66,4 68,7 31,3 8,8
Loir-et-Cher 168.801 65,0 65,7 34,3 8,1
Loire 418.362 55,1 71,1 28,9 6,4
Haute-Loire 137.360 61,4 77,6 22,4 7,6
Loire-Atlantique 517.586 60,3 77,0 23,0 6,5
Loiret 259.283 64,5 69,9 30,1 8,0
Lot 102.068 69,3 68,9 31,1 10,3
Lot-et-Garonne 180.912 64,4 62,2 37,8 9,2
Lozère 52.602 63,8 80,3 19,7 7,0
Maine-et-Loire 344.587 63,2 80,1 19,9 6,8
Manche 272.228 61,7 81,0 19,0 6,0
Haute-Marne 121.747 64,2 69,4 30,6 8,1
Marne 274.112 60,0 68,8 31,2 6,6
Mayenne 156.377 68,0 80,8 19,2 7,9
Meurthe-et-Moselle 383.311 63,2 67,6 32,4 6,6
Meuse 122.360 68,3 71,0 29,0 7,5
Morbihan 343.397 64,0 75,8 24,2 5,7
Moselle 511.760 64,8 75,1 24,9 6,1
Nièvre 157.162 56,4 63,3 36,7 8,6
Nord 1.350.808 67,2 61,9 38,1 7,9
Oise 304.160 66,8 61,5 38,5 7,3
Orne 172.195 63,2 75,4 24,6 7,0
Paris 1.284.554 56,8 73,6 26,4 6,6
Pas-de-Calais 786.012 67,8 57,8 42,2 8,6
Puy-de-Dôme 326.280 56,2 65,6 34,4 7,0
Hautes-Pyrénées 142.609 57,5 65,2 34,8 7,6
Pyrénées-Atlantiques 321.978 61,1 76,9 23,1 7,7
Pyrénées-Orientales 176.290 52,5 57,8 42,2 7,4
Bas-Rhin 477.964 58,7 84,6 15,4 5,1
Haut-Rhin 350.298 62,0 82,5 17,5 6,1
Rhône 692.597 53,7 71,0 29,0 6,1
Haute-Saône 134.370 63,6 67,8 32,2 9,1
Saône-et-Loire 336.585 55,1 67,5 32,5 7,1
Sarthe 278.377 62,3 65,6 34,4 6,9
Savoie 169.966 55,5 70,7 29,3 7,1
Haute-Savoie 220.889 56,5 76,5 23,5 6,7
Seine-et-Marne 365.013 63,0 65,7 34,3 7,3
Seine-Maritime 646.723 62,0 62,2 37,8 6,6
Seine-Saint-Denis 624.961 59,0 49,4 50,6 5,7
Deux-Sèvres 204.088 61,3 78,8 21,2 8,2
Somme 309.867 71,2 57,8 42,2 8,1
Tarn 212.888 68,0 69,8 30,2 11,2
Tarn-et-Garonne 114.426 63,7 69,0 31,0 10,2
Territoire de Belfort 65.456 59,4 68,4 31,6 8,0
Val-d’Oise 384.593 61,2 60,2 39,8 6,7
Val-de-Marne 594.455 60,4 58,5 41,5 6,5
Var 345.471 52,9 64,3 35,7 6,6
Vaucluse 210.177 59,5 62,1 37,9 9,7
Vendée 268.611 69,0 83,3 16,7 7,5
Vienne 209.706 63,9 69,3 30,7 8,0
Haute-Vienne 230.561 60,4 57,6 42,4 8,8
Vosges 235.520 65,5 72,6 27,4 8,2
Yonne 179.375 63,1 67,4 32,6 7,4
Yvelines 492.126 61,0 69,8 30,2 6,9
Französisch-Polynesien 45.064 44,0 75,7 24,3 2,0
Komoren 127.960 91,2 99,1 0,9 1,2
Guadeloupe 141.930 22,8 95,3 4,7 1,4
Französisch-Guyana 18.224 26,9 93,9 6,1 2,2
Martinique 161.789 37,6 93,6 6,4 4,2
Neukaledonien und Neue Hebriden 47.540 48,9 91,1 8,9 2,2
Réunion 156.845 51,4 88,8 11,2 1,7
Saint-Pierre und Miquelon 3.420 66,7 94,8 5,2 2,6
Französisches Afar- und Issa-Territorium 42.842 90,5 98,7 1,3 0,5
Wallis und Futuna 3.780 82,0 88,0 12,0 0,6
Gesamt 29.820.464 60,2 68,3 31,7 7,0
  1. a b c Die Prozentangaben für Ja- und Nein-Stimmen beziehen sich auf die gültigen Stimmen.
    Die ungültigen Stimmen umfassen die aus formalen Gründen ungültigen Stimmen, sowie die leeren Stimmzettel.

Nach dem Referendum

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Nach der Zustimmung der französischen Wähler war der Weg zur Erweiterung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft frei. Am 1. Januar 1973 traten das Vereinigte Königreich, Dänemark und Irland der EWG bei. Die Norweger lehnten allerdings in einer Volksabstimmung am 24. und 25. September 1972 den von ihrer Regierung geplanten EWG-Beitritt ihres Landes mehrheitlich ab, so dass dieser nicht erfolgte.

Einzelnachweise

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  1. 1967: De Gaulle says 'non' to Britain – again. BBC News, 27. November 1967, abgerufen am 15. Oktober 2016 (englisch).
  2. Marion Dönhoff: Warnung vor de Gaulle. Die Zeit, 15. Februar 1963, abgerufen am 15. Oktober 2016.
  3. Pierre Magnan: Brexit: quand de Gaulle disait non à l'Angleterre dans l'Europe. franceinfo.fr, 23. Juni 2016, abgerufen am 15. Oktober 2016 (französisch).
  4. De Gaulles erstes Veto. CVCE (Universität Luxemburg), abgerufen am 15. Oktober 2016.
  5. Jean-Paul Cointet, Bernard Lachaise, Sabrina Tricaud: Georges Pompidou et les élections (1962–1974). Kapitel 2: Le référendum de 1972. Peter Lang Éditions scientifiques internationales, Brüssel, 2008, ISBN 978-90-5201-336-7.S. 233. ff
  6. a b c d LE REFERENDUM SUR L’EUROPE DU 23 AVRIL 1972. (PDF) Ifop Collectors Nr 3, April 2012, abgerufen am 15. Oktober 2016 (französisch).
  7. Le référendum du 23 avril 1972. larousse.fr, abgerufen am 15. Oktober 2016 (französisch).
  8. Élargissement des Communautés européennes (1972). france-politique.fr, abgerufen am 15. Oktober 2016 (französisch).
  9. a b CONSEIL CONSTITUTIONNEL: PROCLAMATION des résultats du référendum du 23 avril 1972 concernant le projet de loi autorisant la ratification du traité relatif à l'adhésion à la Communauté économique européenne et à la Communauté européenne de l’énergie atomique du Royaume de Danemark, de l’Irlande, du Royaume de Norvège et du Royaume-Uni de Grande Bretagne et d’Irlande du Nord, signé à Bruxelles le 22 janvier 1972. In: Journal officiel de la Republique Française. 29. April 1972, S. 4460–4462, abgerufen am 14. Oktober 2016 (französisch).